Zürich (energate) - Im Rahmen des IEA-Forschungsprogramms IEAGHG versammeln sich einmal im Jahr junge Forscher, die sich mit der Entwicklung der CCS-Technologie befassen, zu einer "Summer School". Im Juli fand das Treffen im kanadischen Regina statt. Für die Schweiz nahm daran unter anderem Anne Streb, Doktorandin am Departement Maschinenbau und Verfahrenstechnik der ETH Zürich, teil. Im Interview mit energate erläutert sie, warum sie in der CO2-Abscheidetechnologie grosses Potenzial für den Klimaschutz sieht, im CO2-Recycling über CCU hingegen nur in speziellen Teilbereichen.
energate: Frau Streb, welche Bedeutung haben Technologien wie CCS und CCU für den globalen Klimaschutz?
Anne Streb: CCS ermöglicht es, die CO2-Emissionen von Punktquellen wie Kraftwerken, Müllverbrennungsanlagen oder Zementwerken schnell und drastisch - um über 90 Prozent - zu reduzieren. Es existiert jahrzehntelange Erfahrung mit allen Teilbereichen der CCS-Wertschöpfungskette von CO2-Abscheidung über Transport bis zur tiefen geologischen Speicherung, mit einer geschätzten Speicherkapazität ausreichend für Jahrhunderte. Zusätzlich ermöglicht CCS negative Emissionen: mittels Energie aus Biomasse gekoppelt mit CCS, kurz BECCS, oder Direct Air Capture mit CO2-Speicherung (DACCS). Dadurch können schwer vermeidbare Emissionen, zum Beispiel aus dem Flugwesen, kompensiert werden. Je nach Land und Gegebenheiten macht ein Einsatz für Kraftwerke - zum Beispiel in Entwicklungsländern mit vielen fossilen Ressourcen - oder in der Industrie, beispielsweise auch in der Schweiz, mehr Sinn.
Es handelt bei sich bei CCS also um eine vielfältige Technologie mit grossem Emissionsreduktionspotenzial, die einen essenziellen Beitrag für den globalen Klimaschutz leisten kann und muss. CCS sollte allerdings keinesfalls als Patentrezept betrachtet werden, sondern ist nur ein Teil der Lösung, die eine Kombination vieler verschiedener Massnahmen benötigt. Besonders negative Emissionen dürfen nicht als Entschuldigung herangezogen werden, um Emissionsreduktionen zu vertagen.
CCU bezeichnet CO2-Recycling: Abgeschiedenes CO2 wird zu Wertprodukten wie Baumaterialien, Chemikalien oder Treibstoffen umgewandelt, die dadurch einen reduzierten CO2-Fussabdruck aufweisen. Am Ende ihres grösstenteils kurzen Lebenszyklus werden diese Produkte normalerweise verbrannt und CO2 wird wieder emittiert. CO2-Recycling benötigt meist mehr Energie als alternative Herstellungsverfahren und das CO2-Reduktionspotenzial ist sehr gering im Vergleich zu den globalen Emissionen. Deshalb sehe ich den Nutzen für den Klimaschutz als gering.
energate: In welchen Industriebereichen sehen Sie die wichtigsten Anwendungsfelder für CCS?
Streb: Am wichtigsten ist CCS für Industriebereiche, bei denen CO2 vor allem als Prozessemission anfällt, also nicht indirekt auf Grund des Verbrauchs von Wärme und Elektrizität, und die Produkte erzeugen, für die es keine gute Alternative gibt. Dies sind beispielsweise die Zementherstellung, Stahlerzeugung oder chemische Industrie. In der Zementherstellung könnte auch CCU einen Beitrag leisten. Ein Konzept in Entwicklung ist die Aufbereitung von Altbeton mit CO2 unter geringem Energieaufwand, um diesen als Rohmaterial für die Zement- und Betonherstellung wiederzuverwenden. Auch Raffinerien emittieren viel CO2, vor allem wegen des hohen Wasserstoffbedarfs, der zu einem grossen Teil über die CO2-intensive Erdgas-Dampfreformierung gedeckt wird. Die Kopplung von CCS mit Dampfreformierung ermöglicht es, CO2-neutralen Wasserstoff zu erzeugen - für die Industrie, oder auch für Wasserstoffmobilität -, bis in Zukunft Power-to-gas die benötigten Mengen klimaneutral erzeugen kann.
energate: Glauben Sie, dass die Technologie auch für die Klimapolitik in der Schweiz Relevanz haben wird?
Streb: Ja! Um ihre ambitionierten Klimaziele zu erreichen, benötigt die Schweiz eine Kombination verschiedener Massnahmen wie Effizienzsteigerungen, mehr erneuerbare Energien und Elektromobilität. Einige Bereiche sind allerdings ohne CCS sehr schwer zu dekarbonisieren. In der Schweiz sind das zum Beispiel Zementwerke und Müllverbrennungsanlagen. Hier sehe ich CCS als beste Möglichkeit, die nötige Emissionsreduktion zu bewirken. Zwar gibt es in der Schweiz zurzeit keine geologische Speicherstätte, aber Norwegen hat über 20 Jahre Erfahrung mit der CO2-Speicherung unter der Nordsee und plant, diese Speicher auch für andere Länder zugänglich zu machen, sodass ein Transport nach Norwegen zur endgültigen Speicherung bald möglich sein könnte. Zur Kompensation für Emissionen des Flugwesens oder für die obligatorische Inlandskompensation für CO2-Emissionen bei Treibstoffimporten könnte CCS in Zukunft für die Schweiz noch interessanter werden. In einer "net-zero-emissions-world" sind dafür letztendlich negative Emissionen notwendig, also beispielsweise Biogasanlagen mit CCS oder Müllverbrennungsanlagen mit CCS, da ein Teil des Mülls biogenen Ursprungs ist.
Die Fragen stellte energate-Chefredakteur Christian Seelos.