Im energate-Interview verteidigt BFE-Direktor Benoît Revaz das Förderinstrument der Einmalvergütungen. Ihm zufolge sind diese effizienter als gleitende Marktprämien. (Foto: BFE)
Bern (energate) - Die Schweiz will bis 2050 klimaneutral werden. Ein erster Schritt dahin soll mit dem "Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien" gemacht werden. Im energate-Interview nimmt der Direktor des Bundesamts für Energie (BFE), Benoît Revaz, zu den zentralen Punkten der Gesetzesvorlage Stellung.
energate: Herr Revaz, laut dem jüngsten Monitoringbericht zur Energiestrategie muss der jährliche Zubau bei den Erneuerbaren in Zukunft massiv höher ausfallen, damit die angedachten Ausbauziele im "Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien" erreicht werden können. Trotzdem sind in besagtem Gesetzesentwurf, der gegen Mitte 2021 vorliegen soll, nicht mehr Mittel für die Förderung vorgesehen. Wie soll das funktionieren?
Revaz: Das funktioniert beispielsweise, indem Windenergie-, Biogas-, neue Kleinwasserkraftanlagen und Geothermie-Kraftwerke neu Anspruch auf Investitionsbeiträge erhalten sollen. Diese Technologien würden sonst mit dem Auslaufen des Einspeisevergütungssystems Ende 2022 gar keine Förderung mehr erhalten. Zudem soll die finanzielle Unterstützung in Form der Investitionsbeiträge um fünf Jahre bis 2035 verlängert werden.
energate: Aber letzten Endes stehen pro Jahr nicht mehr Mittel zur Verfügung?
Revaz: Ja, das stimmt. Es gibt aber auch andere Wege der Unterstützung, etwa jene im Stromversorgungsgesetz (StromVG). Mit der vollständigen Marktöffnung wird beispielsweise die dezentrale Stromproduktion gestärkt, indem sie besser in den Markt integriert wird. Zudem soll das Standardprodukt in der künftigen Grundversorgung zu 100 Prozent aus einheimischen erneuerbaren Energien bestehen. Auch das stärkt die Erneuerbaren.
energate: Mit dem "Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien" lässt man weiter die Marktprämien für defizitäre Grosswasserkraftanlagen auslaufen. Zudem ist auch keine "Risikoversicherung" für neue Wasserkraftanlagen, so wie es etwa die Axpo vorgeschlagen hatte, vorgesehen. Warum ist das so? Lassen Sie so nicht die wichtigste Stromquelle der Schweiz im Stich?
Revaz: Wichtig ist zuerst mal festzuhalten, dass nicht alle Wasserkraftwerke wirtschaftliche Probleme haben. Das sieht man zum Beispiel daran, dass die für die Marktprämien zur Verfügung stehenden Mittel zuletzt nicht ausgeschöpft wurden. Insgesamt sind die Rahmenbedingungen für die Wasserkraft aber schon zu verbessern. Die Änderungen im StromVG, die ich bereits angesprochen habe, bringen auch für die Wasserkraft Verbesserungen mit sich. So kriegt mit der Marktöffnung neu die gesamte Wasserkraft Zugang zu den Endkunden, für sie entsteht ein neuer Absatzmarkt. Weiter wird die Diskussion über die Wasserzinsen im Rahmen der nächsten Revision des Wasserrechtsgesetzes wieder aufgenommen und auch die Branche muss sich anstrengen und teils ihre Prozesse optimieren.
Lassen Sie sich mich zudem noch eine Anmerkung zu den gleitenden Marktprämien machen, die von verschiedenster Seite anstelle der Einmalvergütungen gefordert wurden. Die Marktprämien ähneln der Einspeisevergütung. Sie würden uns zwingen, Reserven im Netzzuschlagsfonds zu bilden. So stünde letztlich weniger Geld für die Unterstützung der anderen Technologien wie Solarenergie zur Verfügung. Einmalvergütungen sind also effizienter.
energate: Beim Zubau ist ja nicht nur die finanzielle Seite wichtig. Exemplarisch hierfür steht die Windenergie, aber auch beim Zubau der Wasserkraft sind die Bewilligungsverfahren ein grosses Problem. Warum passiert in diesem Bereich nichts?
Revaz: Es passiert schon einiges. Denken Sie etwa an den Guichet Unique für die Windenergie oder das nationale Interesse an der Nutzung erneuerbarer Energien im Energiegesetz. Aber Sie haben natürlich recht. Die Bewilligungsverfahren sind ein grosses Problem. Wir stehen hier im engen Kontakt mit den anderen Bundesämtern, etwa mit dem Bundesamt für Umwelt oder den Kollegen der Raumplanung. Letztlich müssen aber auch die Kantone ihre Planungsaktivitäten intensivieren und beschleunigen.
energate: Die Energiekommission des Nationalrats hat kürzlich mit einer Motion eine schweizweite Positivplanung für Erneuerbare-Energien-Anlagen nach Artikel 12 Energiegesetz angestossen. Was halten Sie davon?
Revaz: Die Idee ist gut. In der Umsetzung sehen wir aber potenziell verfassungsrechtliche Probleme bei der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen. Hier laufen Abklärungen.
energate: Herr Revaz, kürzlich wurden die Energieperspektiven 2050+ publiziert. Werfen Sie doch bitte einen persönlichen Blick in die Glaskugel. Wie wird die Energie in der Schweiz 2050 produziert? Spielen die Windkraft, die stromproduzierende Geothermie und/oder grosse PV-Freiflächenanlagen eine wesentliche Rolle oder sehen wir vor allem Solardachanlagen und Wasserkraft, so wie das heute der Fall ist?
Revaz: Die Solarenergie und die Wasserkraft werden die Hauptrolle spielen. Das zeigen auch die Energieperspektiven. Im Vergleich dazu verbleiben die Windenergie und die stromproduzierende Geothermie aus Akzeptanzgründen wohl bis 2050 noch eher im Hintergrund. In den neuen Energieperspektiven wurde das Potenzial für diese beiden Technologien bis 2050 auf 4,3 Mrd. kWh respektive 2 Mrd. kWh festgelegt. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts könnte das noch zunehmen. Für die wärmeproduzierende Geothermie sehe ich ein sehr grosses Potenzial. Wichtig ist aber auch die Flexibilität beziehungsweise die Flexibilitäten. So gehen die Energieperspektiven für 2050 beispielsweise von 3,6 Mio. elektrischen Fahrzeugen aus. Das sind 3,6 Mio. dezentrale Batterien.
Die Fragen stellte Mario Graf, energate-Redaktion Olten
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