Olten (energate) - Vor zwei Wochen sorgte eine Frequenzabweichung im europäischen Stromnetz für Aufregung. Daniel Zemp, Head of System Management bei Swissgrid, ordnet den Vorfall im Gespräch mit energate ein und erklärt, warum die europäischen Übertragungsnetzbetreiber die Situation rasch entspannen konnten.
energate: Am 8. Januar kam es zu einem grossen Frequenzabfall auf 49,746 Hertz in Europa, also in den kritischen Bereich von unter 49,8 Hertz (
energate berichtete). Warum ist dieser Bereich so kritisch?
Zemp: Kraftwerke und Stromnetze in Europa sind so konzipiert, dass die tatsächliche Frequenz nicht um mehr als 0,2 Hertz von der Nennfrequenz 50 Hertz abweicht. Damit die Frequenz immer stabil bleibt, muss das Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch elektrischer Leistung immer gegeben sein. Ist der Verbrauch elektrischer Leistung geringer als die Produktion, so ist die Frequenz höher; ist der Verbrauch grösser als die Produktion, so ist die Frequenz tiefer. Weicht die Frequenz um mehr als 0,2 Hertz vom Nennwert ab, so kann es zu Abschaltungen von Maschinen oder Produktionsanlagen kommen.
energate: Welches können die Ursachen für einen derartigen Abfall sein?
Zemp: Die Entso-E führt eine detaillierte Untersuchung des Vorfalls durch. Wir spekulieren nicht über die Ursachen.
Solche Vorfälle sind sehr selten. Die Übertragungsnetzbetreiber sind auf solche Fälle vorbereitet und es bestehen eingespielte Prozeduren zur Stabilisierung der Frequenz. Das europäische Übertragungsnetz besteht aus einer enorm grossen Anzahl von einzelnen Elementen (Leitungen, Schaltanlagen, Isolatoren, angeschlossene Energieproduktionsanlagen) und ist in Spitzenzeiten sehr stark belastet.
energate: Was passiert bei den Übertragungsnetzbetreibern in Europa bei einem solchen Vorfall? Gibt es beispielsweise eine Krisensitzung?
Zemp: Die europäischen Übertragungsnetzbetreiber arbeiten in einem solchen Vorfall per Telefonkonferenz koordinativ zusammen. Generell lässt sich sagen, dass die Übertragungsnetzbetreiber auf Störfälle im Netz vorbereitet sind. Sie trainieren solche Situationen und es bestehen eingespielte Prozeduren zur Stabilisierung der Netzfrequenz. Swissgrid und die anderen europäischen Übertragungsnetzbetreiber halten zur Stabilisierung der Netzfrequenz auch permanent Energie vor, sogenannte Regelleistung, mit der unvorhergesehene Schwankungen in der Produktion, beispielsweise beim Ausfall eines grossen Kraftwerks, oder im Verbrauch, ausgeglichen werden können. Im gesamten europäischen Netz sind automatische Sicherheiten zur Stabilisierung der Netzfrequenz eingebaut. Wenn definierte Grenzen der Netzfrequenz unterschritten werden, werden im Voraus definierte Lasten rollierend automatisch vom Netz getrennt, bis zwischen Produktion und Verbrauch wieder ein Ausgleich hergestellt ist. Solche Situationen können dank der engen Zusammenarbeit der europäischen Übertragungsnetzbetreiber rasch entspannt werden. Die Zusammenarbeit auf technischer Ebene funktioniert sehr gut.
energate: Wie hoch ist der Einfluss der Schweizer Massnahmen bzw. derjenigen von Swissgrid auf das europäische Stromnetz?
Zemp: Für das europäische Verbundnetz gibt es vorbereitete und eingespielte Verfahren, um Auswirkungen von Systemstörungen zu minimieren und insbesondere grosse Frequenzabweichungen zu vermeiden und auszugleichen. Swissgrid übernimmt hier als Coordination Center South eine wichtige Rolle. Sie überwacht die Frequenz des europäischen Verbundnetzes zusammen mit Amprion und ist im Störungsfall verantwortlich für die Einleitung und das Monitoring der vorbereiteten Verfahren mit den südlichen Partnern wie beispielsweise Frankreich, Spanien, Portugal, Italien aber auch Balkanstaaten bis hin zur Türkei.
Die enge Vermaschung mit dem europäischen Netz - die Schweiz hat 41 grenzüberschreitende Leitungen - trägt auch zu dieser Stabilität bei: je enger ein Netz geknüpft ist, desto geringer sind die Auswirkungen auf dessen Stabilität, sollte ein Ereignis eintreten. Entsprechend eng arbeitet Swissgrid mit den europäischen Übertragungsnetzbetreibern zusammen. Mangels Stromabkommen mit der EU ist dieses Erfolgsmodell allerdings zunehmend gefährdet. Ein solches Stromabkommen ist unverzichtbar, um einen stabilen Netzbetrieb zu gewährleisten und so die Grundlage für die Stromversorgung langfristig zu sichern.
energate: Kann man Lehren aus diesem Vorfall ziehen, und wenn ja, welche?
Zemp: Der Vorfall vom 8. Januar wird von der Entso-E untersucht. Die Ergebnisse werden anschliessend für die Weiterentwicklung der Prozesse und Sicherheitsmassnahmen genutzt.
Die Fragen stellte Michel Sutter, energate-Redaktion Olten.