Olten (energate) - Die Schweiz befindet sich momentan an einem kritischen Punkt, was die Ausrichtung auf das künftige Energiesystem angeht. Das schreiben die Autoren Philipp Thaler und Benjamin Hofmann in der Analyse "The impossible energy trinity: Energy security, sustainability, and sovereignty in cross-border electricity systems", die bei "ScienceDirect" erschienen ist. Gemäss dieser
Analyse steht die Schweiz in Bezug auf die Energieversorgung der Zukunft vor der Wahl zwischen einer "schmutzigen", einer unsicheren und einer nicht-autonomen Variante. Die schmutzige Variante sieht dabei vor, dass etwa Gaskraftwerke gebaut und die Laufzeitwerke der Kernkraftwerke verlängert würden. Dies aber zum Preis erhöhter CO2-Emissionen aus der heimischen Stromproduktion und mehr nuklearem Abfall, wie die Autoren in ihren Ausführungen darlegen. Am Ende würde also die Nachhaltigkeit der Energieversorgung leiden und die Ziele der Energiestrategie 2050 torpediert werden.
Bei der unsicheren Variante würde die Schweiz etwa vermehrt auf strategische Reservekapazitäten setzen und sich nicht an einer internationalen Energiepolitik beteiligen. Das könnte zu höheren Strompreisen und einem erhöhtem Blackoutrisiko führen und damit zu einer verminderten Versorgungssicherheit. Bei der nicht-autonomen Variante schliesslich würde die Schweiz ein Stromabkommen mit der EU abschliessen und die Winterstromlücke über Importe decken. Damit würde laut den Autoren jedoch zumindest kurzfristig die Intensität der CO2-Emissionen aufgrund des Strommixes erhöht werden. Hier wäre der zusätzliche Preis ein Souveränitätsverlust, da die Schweiz sich dem EU-Vertragsrecht anpassen müsste.
Tendenz zur nicht-autonomen Variante
Dieses Trilemma der Schweiz - und auch anderer Staaten - ist gemäss den Autoren auf die widersprüchlichen Zielsetzungen der Energiestrategie zurückzuführen, nämlich die Dekarbonisierung im Kampf gegen den Klimawandel, die Fortsetzung einer liberalen Wirtschaftspolitik und der Erhalt der Souveränität. Die Schweizer Stimmbevölkerung habe alle drei Ziele bei verschiedenen Abstimmungen direkt oder indirekt bestätigt. Die Autoren erwarten jedoch, dass sowohl Politiker als auch Stimmberechtigte sich schon bald für eine der Zielsetzungen aussprechen und auch die entsprechende Variante bei den Energiestrategien wählen. Diesbezüglich müssten die Beteiligten allenfalls harte Entscheidungen fällen, so die Autoren. Gegenüber energate präzisiert Thaler, dass es dabei um Entscheidungen gehe, die den gesellschaftlichen Konsens um die Energiestrategie in Frage stellen. Etwa, wenn die Schweiz einen Teil ihrer Souveränität aufgeben müsste, falls sie die nicht-autonome Option adaptieren würde. Dies könnte zu erheblichen Spannungen führen, so Thaler: "Zwischen den Parteien, aber auch zwischen konträren Ideen zum Zukunftsmodell Schweiz".
Obwohl ein Stromabkommen mit der EU momentan "tot" sei, wie es die Autoren formulieren, erwarten sie eine Tendenz zur nicht-autonomen Variante. Dies, weil die Versorgungssicherheit naturgemäss oberste Priorität habe und Nachhaltigkeit immer wichtiger werde - auch aufgrund des internationalen Drucks. Daher werde etwa die schmutzige Option unwahrscheinlicher, zumal diese einen Meinungsumschwung in der Bevölkerung bedinge. Allerdings seien sowohl diese als auch die unsichere Variante nicht vom Tisch: So deutete etwa die Diskussion über die Verlängerung der Laufzeit von Kernkraftwerken auf die schmutzige Variante hin, während beispielsweise die zunehmend ungeplanten Stromflüsse durch die Schweiz ein Hinweis darauf seien, dass am Ende die unsichere Variante favorisiert werden könnte. "Man könnte argumentieren, die Schweiz driftet derzeit ungewollt in die unsichere Option", so Thaler. Darauf machten auch Akteure wie Swissgrid und die Elcom aufmerksam. "Je konkreter dies wird, desto mehr Druck werden politische Akteure spüren, den Kurs zu ändern und in Richtung schmutzige Option oder nicht-autonome Variante zu gehen." /ms