Olten (energate) - Gemäss eines Szenarios von Helion zur Entwicklung der Stromversorgung bis 2050 ist das Potenzial von Photovoltaik um fast zwei Drittel grösser, als das Bundesamt für Energie (BFE) in den Energieperspektiven 2050+ skizziert hat (hier geht es zum Artikel). Helion-CEO Noah Heynen erklärt gegenüber energate, woher Helion die höhere Zahl nimmt und wie sich das Unternehmen den PV-Zubau vorstellt.
energate: Herr Heynen, was war Ihre Motivation bzw. diejenige von Helion, ein
Szenario für die Entwicklung der Stromversorgung vorzulegen?
Heynen: Wir haben gesehen, dass Photovoltaik bei allen Meinungen zur künftigen Stromversorgung eine wichtige Rolle spielt. Nur hat sich die Solarbranche selbst nicht dazu geäussert. Das holen wir jetzt mit einem Ansatz aus der Praxis nach.
energate: Worauf fusst Ihr Szenario?
Heynen: Der Grundpfeiler ist natürlich die Photovoltaik. Ein anderer die Elektromobilität. Bidirektionale Autobatterien können künftig die Energie der Tagesproduktion aller heutigen Schweizer Atomkraftwerke einspeichern, dabei ist die Last bis zehnmal grösser und sehr flexibel einsetzbar. Das haben wir zusammen mit der Amag berechnet. Das wird ein absoluter Gamechanger sein.
energate: Helion geht mit dem Ziel von 52 Mrd. kWh bei PV weiter als beispielsweise der Bund. Worauf basiert diese Zahl? Und wie viel PV sollte pro Jahr zugebaut werden?
Heynen: Die Zahl von 52 Mrd. kWh erscheint nur hoch, wenn man sie in Relation zu den 34 Mrd. kWh setzt, die vom BFE in den
Energieperspektiven 2050+ skizziert werden. Aber in Deutschland beispielsweise hat Umweltminister Robert Habeck sogar noch ein etwas höheres Ziel verkündet. Zudem ist die Zielsetzung des BFE sehr niedrig. Solarenergie ist günstig, akzeptiert von der Bevölkerung und wir haben die Dachflächen dazu. Weshalb also nicht 52 Mrd. kWh? Wir gehen im Jahr 2022 von einem Zubau von 750 MW aus, also etwas mehr als bisher. Nächstes Jahr wären es dann 800 MW, also jeweils 50 MW mehr - bis zu 2.200 MW. Zentral ist, dass wir sofort mit dem Zubau starten. Denn die Brache braucht Zeit, um die Fachkräfte auszubilden. Andere Szenarien gehen in fünf Jahren von einem steil ansteigenden Zubau aus. Das ist nicht realistisch, die Branche braucht kontinuierliches Wachstum, um sich zu entwickeln.
energate: Wie hilft Ihr Plan gegen die Strommangellage im Winter?
Heynen: Solaranlagen produzieren zwar im Sommer zwei Drittel und im Winter "nur" ein Drittel der Energie. Da aber genug Dachflächen vorhanden sind, können wir Solar so massiv ausbauen, dass auch dieser Drittel einen massiven Beitrag zur Winterversorgung beiträgt. Pumpspeicher, Hausbatterien und eben die Elektromobilität helfen durch Dunkelflauten. Und später die dezentralen WKK, analog Powerloop.
energate: Und das möchten Sie ohne Freiflächenanlagen erreichen?
Heynen: Es gibt genug Flächen im Flachland. Wir haben in unserem Szenario Dächer, Fassaden, Lärmschutzwände bei Autobahnen und Parkplatzüberdachungen einbezogen. Wir sind nicht generell gegen Freiflächenanlagen, aber es braucht sie nach unserer Erkenntnis nicht, ebenso wenig alpine Solaranlagen.
energate: Es geht Helion auch darum, die Limite beim Netzzuschlag aufzuheben. Soll es in dem Fall nach oben gar keine Grenze mehr geben?
Heynen: Kurzfristig sollte der Fonds verschuldet werden können. Denn gemäss Aussage des BFE reichen die heutigen 2,3 Rp./kWh gerade mal bis zu einem Zubau von 700 bis 800 MWp. Somit wäre 2023 Schluss mit Wachstum, dieses "Stop & Go" müssen wir unbedingt verhindern! Ein Netzzuschlag von 3 Rp./kWh sollte mal sicher bis 2035 reichen.
energate: Wie soll die PV mit den höheren Mitteln genau gefördert werden?
Heynen: Der nächste Schritt ist die Förderung von Anlagen ohne Eigenverbrauch, dies ist so vom BFE auch geplant. Wir würden diese aber in Form einer gleitenden Marktprämie als effektiver betrachten. Und es sollte schweizweit einheitliche Rückliefertarife geben. Es kann nicht sein, dass diese zwischen 3 und 23 Rp./kWh schwanken. Schliesslich sollte es eine Art Smart-ZEV geben, also dass beispielsweise ein ZEV innerhalb derselben Postleitzahl möglich ist.
energate: Es heisst in Ihrem Szenario, WKK-Anlagen wären erst ab 2045 nötig. Warum?
Heynen: Wir haben mit unserem Zubauplan lange genug Strom im Winter durch Photovoltaik. Der entstehende Überschuss im Sommer sollte in Wasserstoff und Co. umgewandelt werden. Man könnte die WKK-Anlagen natürlich schon ab 2030 bauen, um auf Importstrom zu verzichten und vom Ausland unabhängig zu werden. Wir sehen einfach einen geringeren Bedarf an solchen Anlagen als etwa Powerloop oder Axpo.
energate: Sie haben zu Beginn gesagt, man müsse mit dem PV-Ausbau "sofort" beginnen. Wie optimistisch sind Sie, dass diese Umsetzung so rasch gelingt? Es gibt ja auch einen politischen Prozess.
Heynen: Die Politik hat gezeigt, dass sie Ideen schnell umsetzen kann, zum Beispiel bei der Einmalvergütung vor einigen Jahren. Zudem geht es auch um Arbeitsplätze: Immerhin könnten durch den massiven Ausbau bis zu 21.000 neue Stellen geschaffen werden.
Die Fragen stellte Michel Sutter.