St. Gallen (energate) - Ein über Wasserstoff vollständig dekarbonisiertes Energiesystem könnte schon in nicht allzu ferner Zukunft zu einem über das Jahr durchschnittlichem Strompreis von gut 7 Cent/kWh führen. Das sagte Hans Poser, Managing Director beim Beratungsunternehmen Finadvice, an der Gastagung des Kompetenzzentrums für Energiemanagement der Universität St. Gallen. Posers Aussage basiert auf einer von Finadvice selbst durchgeführten Kostenoptimierung des deutschen Strommarkts, in dem Wasserstoff über die Gasturbine und den Elektrolyseur das preissetzende Element im Energiemarkt ist. Gegenüber energate erklärte Poser, dass das Beratungsunternehmen in seinem Modell mit Strompreisen zwischen 0 und 20 ct/kWh gerechnet hat: "Der höchste Preis ist 20 ct/kWh, wenn die Gasturbinen laufen, also bei hoher Residuallast bzw. wenn Wind und Sonne nur wenig Strom liefern. Der Tiefstpreis ist 0 ct/kWh, wenn Sonne und Wind im Überfluss zur Verfügung stehen und abgeregelt wird." Gemäss den Auskünften des Finadvice-Geschäftsführers sind diese Preise Annahmen, die es erlauben, die jeweils erforderlichen Anlagen wirtschaftlich zu betreiben. So benötige eine Gasturbine beispielsweise einen Strompreis von mindestens 20 ct/kWh, um bei einem Gaspreis von 6 ct/kWh rentabel zu sein. Das Modell von Finadvice ermittelte dann basierend auf diesen Annahmen Zeitpunkte und die Häufigkeit der Preise sowie den Durchschnittspreis.
Erreichbar wäre all dies in ungefähr 20 Jahren, heisst es. Die angegebenen Kosten beziehen sich zwar auf das Jahr 2030, doch die Umstellung selbst würde länger benötigen, wie Poser gegenüber energate sagt. Poser merkt dazu weiter an, dass das Modell eine Kostenoptimierung "auf der grünen Wiese" darstellt. Somit seien weder die Kosten der Umstellung noch die höheren Kosten am Anfang berücksichtigt. Apropos Anfangskosten: Der Finadvice-Mann regte an der Gastagung an, den Wasserstoffhochlauf über ein Quotenmodell zu beanreizen. Er berichtete davon, dass er in der Zusammenarbeit mit Investoren grosses Unbehagen feststelle, wenn es darum gehe, als Erster in eine neue Technologie zu investieren: "Da muss man Lehrgeld zahlen, dass dann den anderen, inklusive den eigenen Wettbewerbern, zugutekommt." Eine Quotenregelung könnte diese Problematik abmildern.
Poser schloss seine Ausführungen mit dem Fazit, dass die Dekarbonisierung nicht nur technisch machbar, sondern auch wirtschaftlich tragbar sei. Sein Votum dürfte der versammelten Gasbranche in St. Gallen gefallen haben. Schliesslich war an der Tagung durch die Aussagen mehrerer Referenten die Auffassung zu spüren, dass die Dekarbonisierung ohne chemische Energieträger wie Wasserstoff nicht umsetzbar sei.
Ausfall russischer Gaslieferungen: Schweiz mit Riesenvorteil
Nicht kompensierbar wäre derweil ein Ausfall der russischen Gaslieferungen - zumindest kurzfristig und ohne Verbrauchsreduktionen. Das betonte Andrej Pustisek, Professor für Energiewirtschaft in Stuttgart, nachdem er an der Gastagung verschiedene Zukunftsszenarien und Lieferausfallskompensationsmöglichkeiten präsentiert hatte. Immerhin hielt Pustisek fest, dass die Schweiz in diesem Szenario, "in dem alle Seiten verlieren würden", einen Riesenvorteil hätte. "Sie können auch noch Gas aus dem Süden beziehen", sagte er. Pustisek verwies dabei darauf, dass Italien momentan über viel mehr Importkapazitäten verfüge, als dort derzeit nachgefragt werde. So seien etwa die dortigen LNG-Terminals nicht vollständig ausgelastet. /mg