Essen (energate) - Eine einheitliche europäische Begriffsdefinition von Wasserstoff, ein Herkunftsnachweissystem für den Handel und die Aufnahme von Wasserstoff in das Gebäudeenergiegesetz sind die drei wichtigsten Hebel für den Markthochlauf. Dies ist das Ergebnis einer Studie, die das Institut Ikem gemeinsam mit der Unternehmensberatung Conenergy Consult im Auftrag der Brancheninitiative Zukunft Gas erarbeitet hat. "Die Grundlage für alle weiteren Schritte ist, dass erneuerbarer und THG-armer Wasserstoff in allen Gesetzen gleich verstanden wird", sagte Simon Schäfer-Stradowsky, Geschäftsführer des IKEM bei einem Pressegespräch zum Auftakt der E-world. Der delegierte
Rechtsakt von EU-Seite, der erst 2024 zu erwarten sei, müsse unbedingt auf dieses Jahr vorgezogen werden.
Einen konkreten CO2-Schwellenwert für die Definition von emissionsarmen Wasserstoff, der je nach Ausgestaltung auch Erdgas bei der Produktion zulassen würde, schlägt die Studie, die insgesamt 13 rechtliche und wirtschaftliche Massnahmen analysiert, nicht vor. Mit Blick auf die unterschiedlichen Sektoren würden aktuell Werte von etwa 25 bis 32 g CO2 mit den unterschiedlichen Stakeholdern diskutiert, erläuterte Schäfer-Stradowsky auf energate-Nachfrage. Anrechenbar sollte die grüne oder treibhausgasarme Qualität im Gebäudebereich (über das GEG), über Quoten im Verkehr sowie in der Landwirtschaft (bei den Einsatzstoffen) sein.
Wasserstoffhandel muss starten
Zweiter und vielleicht noch entscheidender Hebel für die "Entfesselung des Wasserstoffs" ist laut Håvard Nymoen, Geschäftsführer von Conenergy Consult, ein europaweites System zur Massenbilanzierung im Handel. Zwar adressieren die Erneuerbarenrichtlinie (Red II) und die Gasversorgungsrichtlinie die Nachweisführung, die Umsetzung sei aber ins Stocken gekommen. "Wir können zwar Bioorangen aus Spanien hierzulande als Bio verkaufen. Grünen Wasserstoff aus Spanien für Thyssenkrupp als grünen Wasserstoff aber nicht", kritisierte auch der Vorstand von Zukunft Gas, Timm Kehler, auf der Pressekonferenz.
Grundsätzlich verbaue sich die EU mit ihren hohen Ansprüchen an die Produktion ein ausreichendes Wasserstoffangebot. Als Beispiele führte Kehler die geforderte Zusätzlichkeit der Erneuerbaren-Anlagen, zeitliche und räumliche Korrelation der Produktion sowie den Ausschluss einer Doppelförderung von Erneuerbaren-Anlagen und Elektrolyseuren an. Damit werde es der Stahlbranche, "bei der wir als erstes nennenswerte Mengen von grünem Wasserstoff sehen werden", unnötig schwer gemacht. Den Aufbau und die Ausgestaltung des europäischen Wasserstoffhandels verglich er mit der damaligen Gründung der Montanunion.
Wasserstoff im Wärmesektor
Arnt Baer vom nordrhein-westfälischen Versorger Gelsenwasser appellierte an die Politik, ihr beharrliches Nein zum Wasserstoffeinsatz im Gebäudesektor nochmals zu überdenken. In seinem Netzgebiet stehen viele mehrgeschössige Wohngebäude aus den 70er Jahren mit einem hohen Anteil von Gasheizungen. Schon in der Vergangenheit sei es durchaus schwierig gewesen, Kunden vom Einbau einer neuen Heizung zu überzeugen. "In den vergangenen Wochen ist es durch die Preisentwicklung noch weniger realistisch geworden", so Baer, der mehr Realismus forderte beim Ziel der Regierung, ab 2024 nur noch Heizungen mit einem Anteil von 65 Prozent Erneuerbaren-Anteil einzubauen.
Auch von der Netzseite aus sehen seine Gelsenwasser-Kollegen Probleme durch den hohen Wärmebedarf in einzelnen Stadtteilen. "Unser Stromnetz wäre mit einem kompletten Rollout der Wärmepumpen überfordert." Gelsenwasser wird im Rahmen des Reallabor Linnich ab dem dritten Quartal Erfahrungen mit Wasserstoff im Verteilnetz sammeln. Auch erste Ankerkunden aus dem Industriebereich rund um Linnich könnten sich anschliessen lassen. Daneben wird Gelsenwasser in Coesfeld eine Wasserstoffbeimischung von bis zu 30 Prozent erproben. /mt