Olten (energate) - Die Schweiz rüstet sich mit einem Vier-Stufen-Plan auf eine Gasmangellage in der kommenden Heizperiode. Längerfristig dürfte russisches Gas laut Verband der Schweizerischen Gasindustrie (VSG) durch verflüssigtes Erd- und Biogas anderer Herkunft ersetzt werden. Die Energie-Stiftung wiederum sieht darin keine Alternative. Ziel der Schweizer Gaswirtschaft sei klar, unabhängig zu werden von russischem Gas, schreibt der VSG auf die Frage von energate, wie die Pläne über die Winterversorgung 2022/2023 hinaus aussehen. Einen spezifischen Schweizer Plan für die Zeit nach dem kommenden Winter gibt es demnach nicht, da die Schweiz in dieser Hinsicht auf ihre Lieferanten in der EU angewiesen ist.
Die Branche beschaffe sich das Gas primär in Form von Standardprodukten auf den Märkten in Deutschland, den Niederlanden, Frankreich und Italien, so der VSG. Der Anteil des russischen Gases auf diesen Märkten sei unterschiedlich hoch. "Die europäischen Länder und die EU arbeiten mit Hochdruck daran, Abhängigkeiten von russischem Gas zu reduzieren und die Bezugsmöglichkeiten breiter abzustützen", heisst es weiter. Dabei spiele LNG eine wichtige Rolle, da auf diese Weise Gas aus den unterschiedlichsten Weltregionen beschafft werden kann. "Der Anteil des russischen Gases dürfte in den vergangenen Wochen und Monaten ohnehin stark zurückgegangen sein aufgrund der gedrosselten Gaslieferungen aus Russland und den Bemühungen Westeuropas, auf andere Gaslieferanten auszuweichen", so der VSG.
Preis könnte laut VSG Treiber für Biogas sein
Eine andere Frage ist, ob die Verbraucher angesichts des Kriegs in der Ukraine und den damit verbundenen Auswirkungen auf die Preise (
energate berichtete) überhaupt noch Bedarf nach Gas haben werden. Die Energieversorgerin Energie 360 Grad beispielsweise empfiehlt allen Kunden auf der firmeneigenen Website, die Gasheizung zu ersetzen und auf erneuerbare Heizungslösungen umzusteigen, falls sie aus russischem Gas aussteigen wollen. Andererseits ging der Gasverbrauch zumindest bis Mai dieses Jahres nicht zurück (
energate berichtete).
Der VSG verweist bei der Frage, wie gross der Bedarf nach Gas angesichts der Umstände künftig sein wird, auf die bekannten Pläne der Industrie, Gas als Brückentechnologie einzusetzen: "Gas leistet einen wichtigen Beitrag, um das Energiesystem zu dekarbonisieren", heisst es. "Die Schweizer Gaswirtschaft unterstützt das Netto-Null-Ziel des Bundesrates und arbeitet aktiv darauf hin." Dabei werde Erdgas sukzessive durch erneuerbare Gase wie Biogas, synthetisches Methan und grünen Wasserstoff ersetzt. "Selbstverständlich geht das nicht von heute auf morgen, sondern benötigt Zeit", schreibt der VSG weiter. Der Prozess hin zu klimaneutralen Gasen laufe und sei politisch gewollt. Es sei durchaus denkbar, dass die massive Verteuerung des Erdgases diesen Prozess beschleunige, in der EU wie auch in der Schweiz.
SES verweist auf Trend hin zu Wärmepumpen
Nils Epprecht, der Geschäftsführer der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES), geht in seiner Stellungnahme gegenüber energate nicht davon aus, dass der hohe Gaspreis die Umstellung auf klimaneutrale Gase stark beschleunigt. "Zum einen müsste dazu die Sicherheit bestehen, dass die Gaspreise noch über Jahre hinaus so hoch bleiben werden. Diese Sicherheit besteht nicht", so Epprecht. Zum anderen sei gerade im Bereich Heizenergie die Substitution von Gas durch eine Wärmepumpe deutlich günstiger als der Umweg über klimaneutrales Gas. "Das heisst, der hohe Gaspreis führt vor allem dazu, dass sich die Substitution beschleunigt, was wir ja derzeit an der hohen Nachfrage von Wärmepumpen beobachten können."
Das Potenzial von Biogas sei rein mengenmässig zu begrenzt, als dass es das heute verwendete fossile Gas ersetzen könnte, führt Epprecht aus. In Nischenanwendungen wie der Industrie oder auch im Schwerverkehr sei es aber durchaus denkbar, dass der hohe Gaspreis die Umsetzung von angedachten Projekten zur Umstellung auf klimaneutrale Gase beschleunige. "Dies erachte ich auch als sinnvolles Anwendungsgebiet für klimaneutrales Gas." Er gehe jedoch weiterhin nicht davon aus, dass dies ohne staatliches Programm in Form einer Anschubfinanzierung oder Risikogarantie erfolgen wird. "Dazu ist die Herstellung von klimaneutralem Gas gerade in der Schweiz schlicht noch zu teuer und wird es wohl auch bleiben, solange wir keine grossen inländischen Stromüberschüsse produzieren."
Nichts Neues betreffend CO2-Abgabe
Der Import von Biogas wiederum stösst in der Schweiz auf das Hindernis, dass ausländisches Biogas bei der Einfuhr der CO2-Abgabe untersteht. Energate wollte vom VSG wissen, ob es Anzeichen dafür gibt, dass sich daran etwas ändert. "Über das Gasnetz importierte Biogas wird zolltechnisch weiterhin wie Erdgas behandelt. Daran hat sich nichts geändert", teilt der Verband mit. Aktuell sind dem VSG laut eigenen Angaben auch keine Projekte bekannt, Biogas auf der Schiene oder Strasse direkt in die Schweiz einzuführen und somit die CO2-Abgabe zu umgehen. /yb