Köln (energate) - In der Industrie ist die Wärmeerzeugung noch stark von fossiler Energie abhängig. Das ist insbesondere durch Ukrainekrieg und Gaspreiskrise zum Problem für viele Betriebe in Deutschland geworden. Eine Alternative könnte Wärme aus Solarthermie sein. Über Potenziale und bestehende Hemmnisse sprach energate mit Professor Robert Pitz-Paal. Er leitet das Institut für Solarforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Köln (DLR).
energate: Herr Pitz-Paal, welche Potenziale sehen Sie hier für die Solarthermie, die industriellen Prozesse unabhängiger von Öl und Gas zu machen?
Pitz-Paal: Das Potenzial ist enorm. Industrieprozesse nutzen etwa die Hälfte der weltweiten produzierten Wärme. Daran hatte Solarthermie 2018 einen Anteil von weniger als 0,02 Prozent. Dabei sind die technischen und solaren Voraussetzungen so, dass Solarthermie einen wesentlichen Teil der industriellen Prozesswärme bereitstellen kann. Grosses Potenzial in Deutschland sehe ich bei mittelständischen Unternehmen. Sie verfügen häufig noch über freie Flächen oder können noch freie Dachflächen oder Parkplatzüberdachungen nutzen, um Solarkollektoren zu installieren. Fotovoltaikanlagen, deren Strom mittels Direktheizungen Wärme erzeugen kann, sind ebenfalls eine denkbare Alternative. Der Vorteil der Solarthermie ist jedoch, dass der Wärmeenergieertrag pro Quadratmeter Fläche etwa drei Mal so gross ist, wie der von PV-Anlagen. Mit Wärmeerzeugungskosten von deutlich unter 5 Cent pro Kilowattstunde ist Solarthermie eine der preisgünstigsten direkt verfügbaren Alternativen. Die Wärme lässt sich zudem sehr preiswert in grossen Tanks speichern und steht so auch nach Sonnenuntergang zur Verfügung.
energate: Gibt es bei der Nutzung irgendwelche Einschränkungen?
Pitz-Paal: Einschränkend ist anzumerken, dass die Solarthermie die fossile Energie insbesondere im Winter nicht zu 100 Prozent ersetzen kann. Sie muss in Kombination mit anderen erneuerbaren Technologien eingesetzt werden, um CO2-Emissionen komplett zu vermeiden. Hier sind insbesondere Wärmepumpen, Biomasse, grüner Wasserstoff oder Geothermie geeignete Optionen. Die niedrigen Kosten und die direkte Verfügbarkeit sprechen jedoch klar dafür, zuerst Solarthermie einzusetzen, bevor weitere Technologien Schritt für Schritt integriert werden.
energate: Trifft dies nur auf den Bedarf an Niedertemperaturwärme zu oder kann Solarenergie auch in industriellen Prozessen mit sehr hohem Temperaturniveau einen Beitrag leisten?
Pitz-Paal: In Deutschland ist auch der Einsatz von konzentrierenden Kollektoren bis zu einer Temperatur von bis zu 400 Grad Celsius möglich. Im Vergleich zu nicht konzentrierenden Systemen liefern sie bereits ab einer Temperatur von 80 bis 100 Grad Celsius mehr Ertrag pro Fläche. Je nach Wärmebedarf ist auch eine Kombination beider Techniken denkbar. In sonnenreichen Gegenden, zum Beispiel in Südeuropa, sind wegen der höheren Direktstrahlung konzentrierende Systeme auch im Temperaturbereich bis zu 900 Grad Celsius einsetzbar.
energate: Warum hat sich bislang in dem Bereich bis auf einzelne Pilotprojekte wenig getan?
Pitz-Paal: Für die meisten Unternehmen war eine fossile Wärmebereitstellung lange Zeit sehr vorteilhaft, weil sie preiswert, immer verfügbar und technologisch vergleichsweise einfach ist. Auch das Investitionsrisiko war sehr gering, denn ein Grossteil der Kosten entfiel auf den Brennstoff. Das hat sich nun geändert. Fossile Energieträger sind sehr teuer geworden, ihre CO2-Emissionen werden zukünftig von der Gesellschaft nicht mehr toleriert und daher entsprechend besteuert. Zudem kann ihre Verfügbarkeit aufgrund des Konflikts mit Russland nicht mehr garantiert werden. All das gilt für erneuerbare Energien nicht - man investiert einmalig in eine technisch etwas komplexere Lösung, um den Energiepreis langfristig abzusichern und die CO2-Emissionen zu senken. Daher erwarten wir eine schnell wachsende Nachfrage nach erneuerbaren Lösungen in der Industrie, insbesondere nach Solarthermie.
energate: Welche Massnahmen wären geeignet, um mehr Schwung in die Wärmewende der Industrie zu bekommen?
Pitz-Paal: Die Politik kann helfen, indem sie ein klares Ausbauziel für die Dekarbonsierung des industriellen Wärmeverbrauchs formuliert und mit Massnahmen flankiert. Dabei sollten erneuerbare Wärme, erneuerbarer Strom und grüner Wasserstoff, auch in Form von Hybridlösungen, gleichberechtigt in massgeschneiderten Lösungen Anwendung finden. Insbesondere für die konzentrierende Solarthermie ist es nötig, Referenzprojekte als Anschub für den Markthochlauf zu fördern, denn diese Technik ist einfach noch nicht ausreichend bekannt. Ergänzend dazu wird eine Informationsoffensive für die Wärmeabnehmer benötigt, die die technischen Möglichkeiten aufzeigt. Ein Pool von Fachleuten sollte etabliert werden, dessen Beraterinnen und Berater in der Lage sind, massgeschneiderte technische Lösungen zu entwickeln und ihre Umsetzung zu begleiten.
Die Fragen stellte
Mareike Teuffer.