Olten (energate) - Zum Jahresabschluss hat energate wie jedes Jahr Führungspersönlichkeiten aus der Energiebranche um ein Fazit zum Energiejahr gebeten. Heute ziehen Jürg Grossen (Präsident Swissolar) und Lionel Perret (Geschäftsleiter Suisse Eole) ihre persönliche Jahresbilanz.
Jürg Grossen, Präsident Swissolar und Parteipräsident der GLP Schweiz
In der Energiepolitik hat sich in diesem Jahr viel getan. Leider hat erst der von Putin angezettelte schreckliche Krieg in der Ukraine zu einem Umdenken in Sachen Energieeffizienz und erneuerbare Energien geführt. Die 2017 vom Volk beschlossene erste Etappe der Energiestrategie 2050 hat zwar bisher die geplante Wirkung entfaltet. So sind wir bei der Effizienz und beim Zubau der Erneuerbaren auf Zielkurs, wie der Bundesrat kürzlich bestätigt hat. Aufgrund der damals beschlossenen Rahmenbedingungen wird zum Beispiel im 2022 rund eine Terrawattstunde zusätzlicher Solarstrom produziert, ein sechzigstel unseres jährlichen Verbrauches. Das ist beträchtlich und dieser jährliche Photovoltaik-Zubau wird sich in den kommenden Jahren mindestens noch verdoppeln, auch weil das Parlament in der Herbstsession eine Solaroffensive beschlossen hat. Damit wird in gut zehn Jahren die gesamte Produktionsmenge aller heute laufenden Atomkraftwerke mit Photovoltaik ersetzt sein. Das ist zwar gut, aber es braucht endlich einen klaren, ganzheitlichen Plan und ehrgeizige Ziele in der Klima- und Energiepolitik.
Bundesrat Albert Rösti muss mit der Revision des Energie-, des Stromversorgungs- und CO2-Gesetzes die zweite Etappe der Energiestrategie nun konkret angehen. Neue Atomkraftwerke bleiben dabei aus Kosten-, Sicherheits- und Nachhaltigkeitsgründen keine Option. Die alten AKWs laufen, solange sie sicher sind und solange der Zubau zu gering und die Effizienz noch zu wenig ausgeschöpft wird. Der Ausstieg aus den fossilen Energien mit Wärmepumpen und Elektroautos wird zu mehr Stromverbrauch führen. Deshalb muss der Zubau insbesondere der Photovoltaik rascher gesteigert und die Wasser- und Windkraft weiter ausgebaut werden. Auch Biogas und Holz haben Zukunft.
Aber mit einem massiven Ausbau von Erneuerbaren und Energieeffizienz allein haben wir unsere Hausaufgaben noch nicht gut gemacht. Es bleibt die Herausforderung, dass wir in den Wintermonaten zu wenig einheimischen Strom zur Verfügung haben. Hier gebe ich kritischen Stimmen recht: Dieses Problem muss umgehend angepackt werden.
Um die erneuerbaren Energien optimal für den Winter zu speichern, braucht es eine Offensive mit "Power-to-X". Mit dieser Technologie aus Schweizer Forschung wird überschüssiger Strom aus erneuerbaren Energien in synthetische, CO2-neutrale Treib- und Brennstoffe umgewandelt und lagerbar gemacht. Mit Power-to-X können wir Energie aufbewahren und gezielt einsetzen, wenn wir sie brauchen. Also Stromüberschüsse aus Wasser und Sonne im Sommer in Wasserstoff oder Methanol umwandeln, in Tanks einlagern und im Winter zum Heizen und zur Stromproduktion einsetzen. Power-to-X vervollständigt die Strategie und ist zudem die Basis für den klimaneutralen Flugverkehr, der für die Erreichung des Netto-Null-Zieles ebenfalls zwingend ist.
Die Richtung für die zweite Etappe der Energiestrategie 2050 zeichnet sich ab, es gilt 2023 die Weichen dafür zu stellen und Vorwärts zu machen.
Lionel Perret, Geschäftsleiter Suisse Eole
Endlich! Das war ein langes Warten, aber jetzt herrscht Freude: Im August hat das Bundesamt für Energie (BFE) die Potenzialzahlen für die Windenergie von gut 4 auf 30 TWh erhöht. Wenn ein Drittel davon genutzt wird, schreibt das BFE, könnten in der Schweiz mit 1.000 Windenergieanlagen insgesamt 8,9 TWh Windstrom pro Jahr oder 5,7 TWh im Winter produziert werden. Das haben wir übrigens bereits 2020 in unserer Windenergiestrategie (Winterstrom und Klimaschutz) für 2050 vorgerechnet.
Während der Bund in Birr ein Gaskraftwerk in Betrieb nimmt und die Luftreinhalte- und Lärmschutz-Verordnung zeitweise ausser Kraft setzt, hat das Bundesgericht seit dem Frühling 2021 grünes Licht für 7 Windparks gegeben. Davon ist aufgrund der endlos langen Verfahren als einziger der Windpark von Sainte-Croix in Bau. Die anderen 6 Windparks brauchen aber bis dahin jeweils noch eine Baubewilligung, die wieder bis vor Bundesgericht angefochten werden kann. Diese 39 Anlagen mit einer jährlichen Produktion von insgesamt 274 Mio. kWh - rund zwei Drittel davon fallen im Winter an - könnten, wenn wir nur wollten, innert kürzester Frist gebaut werden!
5 weitere Windenergieprojekte mit insgesamt 40 Anlagen und einer erwarteten Produktion von jährlich 219 Mio. kWh befinden sich in laufenden Gerichtsverfahren, 3 davon vor dem Bundesgericht. Die Gemeinden Corgémont und Cortébert haben im Sommer 2021 einem dieser Windparks, der jährlich 15 Mio. kWh Strom produzieren könnte, mit über 90 % der Stimmen zugestimmt.
Alle oben erwähnten Windparks zusammen könnten den Haushaltsstromverbrauch von knapp 500.000 Personen decken! Wir fordern, dass alle Windenergieprojekte, die von einer kantonalen Instanz bewilligt wurden, womit deren Auswirkungen auf die Landschaft und die Umwelt geklärt wurden und die vor Gericht in einem Beschwerdeverfahren blockiert sind, sofort vom Bundesrat genehmigt werden!
Lokal verfügbare, sichere und CO2-neutrale Windenergie ist der Winterpfeiler der Schweizer Energieversorgung. Da zwei Drittel des Windstroms in den Wintermonaten produziert wird, ist Windenergie der ideale Partner von Wasserkraft und Sonnenenergie, die im Winter - wenn unser Verbrauch am höchsten ist - weniger produktiv sind. Das Windenergiekonzept 2030 von Suisse Eole basiert auf drei Tranchen, d. h., 3 x 2 TWh jährlich, davon mindestens 4 TWh im Winter: Die erste Tranche basiert auf der Beschleunigung bereits laufender Verfahren (siehe oben) sowie von weit fortgeschrittenen Projekten, die zweite umfasst einzelne Windenergieanlagen, die von der Bevölkerung, Gemeinden oder Unternehmen initiiert werden. Die dritte Tranche könnte umgesetzt werden, indem wir neue Flächen und Gebiete für die Windenergienutzung öffnen. Mit heute durchschnittlich 8 bis 15 Rp./kWh und einem Winteranteil von zwei Dritteln ist Windenergie die günstige, sicherste, nachhaltigste Technologie - und weltweit erprobt! Wir haben kein Energieproblem, sondern ein Verfahrensproblem sowie Blockaden in unseren Köpfen, was angesichts der rekordhohen Energiepreise und der unsicheren Versorgungssituation umso tragischer ist. Die Sonne scheint und der Wind weht in der Schweiz, jeden Tag, das ganze Jahr über. Wenn wir diese unerschöpflichen Energien nutzen, stärken wir unsere Versorgungssicherheit, unsere Unabhängigkeit und schützen unser Klima.