In ihrem Jahresrückblick beschreibt Alpiq-CEO Antje Kanngiesser, wie die Schweiz der Energie-, Wirtschafts- und Klimakrise aus ihrer Sicht entgegentreten muss. (Foto: Yoshiko Kusano)
Olten (energate) - Zum Jahresabschluss hat energate wie jedes Jahr Führungspersönlichkeiten aus der Energiebranche um ein Fazit zum Energiejahr gebeten. Heute ziehen Antje Kanngiesser (CEO Alpiq Holding AG), Christoph Brand (CEO Axpo), Robert Itschner (CEO BKW) und Benjamin Lakatos (Chairman und CEO MET Holding AG) ihre persönliche Jahresbilanz.
Antje Kanngiesser, CEO Alpiq Holding AG
Als Unternehmen wurde Alpiq im 2022 - wie viele andere Unternehmen auch - auf die Probe gestellt. Durch unser rasches, bestimmtes und vor allem gemeinsames Handeln über die verschiedenen Bereiche hinweg, konnten wir das Unternehmen nachhaltig stabilisieren. Das hat uns näher zusammengebracht. Der regelmässige Austausch mit den Aktionären und die enge Zusammenarbeit zwischen dem Verwaltungsrat und dem Management haben zudem viel Vertrauen geschaffen. Wir konnten die herausfordernde Liquiditätssituation gemeinsam meistern und kommen nun wesentlich widerstandsfähiger und stärker aus diesem turbulenten Jahr raus, als wir reingegangen sind.
Ein Jahr wie 2022 haben wir noch nie zuvor gesehen. Wir sind mit einer Energiekrise konfrontiert, die in weiten Teilen Europas zu einer Wirtschaftskrise mit einer dramatischen Deindustrialisierung und zu hohen Inflationsraten geführt hat. Hinzu kommt die Klimakrise. In diesem Jahr alleine haben die Schweizer Gletscher sechs Prozent ihrer Masse eingebüsst. Das ewige Eis ist vergänglich geworden, der Klimawandel in der Schweiz immer spürbarer. Auf diese Dreifachkrise können wir nur mit einem schnellen und konsequenten Ausbau der erneuerbaren Energien, dem Zubau von Speicherkapazitäten, mehr Energieeffizienz sowie einer konstruktiven Zusammenarbeit der Schweiz mit der EU antworten. Diese Faktoren sind für die Versorgungssicherheit künftig unverzichtbar. Die Flexibilität, welche für die Integration der erneuerbaren Energien notwendig ist, haben wir. Mit der offiziellen Einweihung des Pumpspeicherkraftwerks von Nant de Drance im September konnten wir nach 14 Jahren Bauzeit dieses monumentale Bauwerk in Betrieb nehmen. Nun folgen die Ausbauprojekte in den Bereichen PV, Wasser und Wind. Wir bleiben dran.
Christoph Brand, CEO Axpo
Was für ein Jahr! Die beispiellosen Verwerfungen an den Energiemärkten haben ganz Europa vor grosse Herausforderungen gestellt. Wir wurden Zeugen eines grausamen Krieges in Europa - mit dramatischen Auswirkungen auf die betroffene Bevölkerung und starkem Einfluss auf die Energiemärkte. Die Grosshandelspreise von Strom und Gas lagen zeitweise zwanzigmal höher als im Durchschnitt der letzten Jahre. In der Folge wurden europaweit Unterstützungsmassnahmen für Energieversorger und weitere Massnahmen zur Sicherung der Energieversorgung beschlossen. Auch dank dem grossen Einsatz unserer Mitarbeitenden konnte Axpo diesem Sturm bisher trotzen. Die beim Bund vorsorglich beantragte Kreditlinie haben wir nicht in Anspruch genommen und wir werden auch künftig alles unternehmen, damit dies so bleibt.
Das Jahr 2022 hat aber nicht nur negative Schlagzeilen hervorgebracht. Im Bereich PV begrüssen wir die verbesserten gesetzlichen Rahmenbedingungen für alpine PV-Anlagen. Diesen Steilpass der Politik haben wir dankbar aufgenommen und nun können wir unsere Ambition für die Schweiz höher stecken. Axpo hat die PV-Ambition von 200 MW auf 1,2 GW versechsfacht. Diese Solaroffensive ist eines der vielen Puzzleteile, die es braucht, um die jährliche Produktion in der Schweiz bis 2050 um rund 50 TWh zu erhöhen. Axpo wird weiterhin täglich ihren wesentlichen Beitrag zur Versorgungssicherheit und zur Dekarbonisierung in der Schweiz und in Europa leisten. Wir werden uns weiterhin konstruktiv in der Energiepolitik einbringen, damit die Schweiz die Energiewende bei gleichzeitig hoher Versorgungssicherheit schafft.
Robert Itschner, CEO BKW
Das vergangene Jahr war geprägt durch extreme Verwerfungen an den Energiemärkten mit rekordhohen Preisen an den Strombörsen. Das führte zu politischen Weichenstellungen, die es ermöglichen sollen, eine drohende Strommangellage in den nächsten Jahren zu verhindern oder besser zu managen. Diese Ausgangslage, die unter anderem auch eine Folge des leidvollen Krieges in der Ukraine ist, stellt die BKW vor Herausforderungen. Erfreulich ist, dass wir diese Herausforderungen bisher gut haben meistern können und unsere Strategie auch nicht anpassen müssen. Im Gegenteil: Die Energiekrise hat Dinge in Bewegung gesetzt. Das Investitionsklima für den Ausbau der Erneuerbaren hat sich in kurzer Zeit verbessert. Zudem hat die Politik auf eine schnelle und unkonventionelle Art Entscheide gefällt, die für die Energiebranche Chancen bedeuten: Diese Chancen werden wir bei der BKW nutzen. Wir wollen nun gemeinsam mit der KWO zwei Projekte in Angriff nehmen, die schon lange in der Schublade sind: den Bau einer Staumauer beim Trift-Gletscher und die Erhöhung der Speicherkapazitäten des Grimsel-Stausees. Daneben sind aber auch die seit langem geplanten Windparks in Tramelan oder Jeanbrenin sowie grössere PV-Projekte wichtige Themen für die BKW.
Benjamin Lakatos, Chairman und CEO MET Holding AG
Das Jahr 2022 hat nicht nur die Welt geopolitisch auf den Kopf gestellt, sondern auch in der Energiewirtschaft nie zuvor gesehene Marktverwerfungen ausgelöst. Dieser geradezu "perfekte Sturm" hat dazu geführt, dass unsere Branche komplett durchgeschüttelt wurde, kein Stein auf dem anderen blieb und viele Marktteilnehmer auf dem harten Boden der Tatsachen gelandet sind. Neben Verlierern gibt es wie immer bei solchen gewaltigen Erschütterungen auch Gewinner. Was sie eint, ist die Tatsache, dass alle Beteiligten ziemlich müde sind nach diesem aussergewöhnlichen Jahr. Auch die Gewinner.
Das ändert aber nichts daran, dass der eigentliche grosse Umbruch erst noch folgen wird. Wir stehen Ende 2022 vor fundamentalen Änderungen, die in den kommenden fünf bis zehn Jahren auf uns zukommen werden. Die Preise auf den Märkten dürften sich bis spätestens 2025 wieder in ruhigerem Fahrwasser bewegen, aber damit ist der Sturm noch lange nicht vorbei. Während aktuell noch die Sorgen um die Versorgungssicherheit im Vordergrund stehen, zeichnet sich bereits ab, dass der Umbruch in der Energiewirtschaft insbesondere die grüne Transformation beschleunigen wird. War die Energiewende bis dato stark ideologisch geprägt, wird die aktuelle Krise die Diskussionen und Handlungen nun in eine deutlich realistischere und pragmatischere Richtung lenken. Europa braucht mehr Strom aus erneuerbaren Energien, aber es wird auch noch auf viele Jahre hinaus auf Erdgas und LNG angewiesen sein.
Welche Marktteilnehmer die besten Voraussetzungen haben, diese Entwicklung in den kommenden Jahren entscheidend mitzuprägen, wird sich noch zeigen. Eines ist jedenfalls klar: Im zu Ende gegangenen Jahr hat sich die Spreu vom Weizen zu trennen begonnen. Wer in den vergangenen Jahren über seine Verhältnisse gelebt und kein funktionierendes Geschäftsmodell mehr hat, wird es in Zukunft schwer haben.
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