Bern (energate) - Der Nationalrat will die Restwasservorschriften gemäss Artikel 29 ff. des Bundesgesetzes über den Schutz der Gewässer bis Ende 2035 sistieren. Für die SP und die Grünen, welche den entsprechenden Antrag zusammen mit der grünliberalen Fraktion bekämpft hatten, wurde damit schon am ersten Tag der Beratungen des Mantelerlasses eine rote Linie überschritten. Der Grüne Nationalrat Christophe Clivaz etwa bezeichnete den Antrag rund um den Mitte-Politiker Nicolo Paganini als "inakzeptabel" für seine Fraktion. Auch SP-Politikerin Nadine Masshardt bat den Rat erfolglos, den Antrag abzulehnen. Das sei zentral für den Mantelerlass insgesamt, und damit auch für den "hier vorliegenden Kompromiss zwischen Schutz- und Nutzinteressen", so die SP-Frau.
Masshardt argumentierte dabei mit zwei Punkten. "Weil es bei diesem Restwasserantrag nur um die Konzessionserneuerungen für bestehende Kraftwerke geht, und diese vor allem ab 2040 anfallen werden, liegt der Produktionszuwachs gemäss Verwaltung deutlich unter 200 Gigawattstunden", sagte Masshardt etwa. Die Politikerin meinte zudem, dass der Bundesrat die Restwasserbestimmungen in Notlagen bereits heute schon vorübergehend einschränken könne und dies in diesem Winter auch mache. Der Bundesrat hatte im vergangenen September eine reduzierte Restwasserabgabe bei rund 45 Schweizer Wasserkraftwerken erlaubt (
energate berichtete). Dabei geht es allerdings um eine reduzierte Restwasserabgabe von höheren Restwassermengen auf das gesetzlich vorgegebene Minimum.
Auch Rösti warnte vor Aufweichung des Gewässerschutzes
Auch Bundesrat Albert Rösti sprach sich dagegen aus, die Restwasserbestimmungen gemäss Artikel 29 ff. des
Gewässerschutzgesetzes bis 2035 zu sistieren. Rösti sagte zwar, dass er "grosses Verständnis" für das Ansinnen des Antrags habe. "Die Logik der Anträge, dass, wenn wir zubauen, dieser Zubau nicht gleichzeitig gerade wieder verloren gehen sollte, kann ich nachvollziehen", so der Bundesrat dazu. Er ergänzte aber, dass die grossen Umweltschutzorganisationen dem Kompromiss des runden Tischs Wasserkraft nur unter der Bedingung zugestimmt hätten, dass die bestehenden Gesetze eingehalten werden. "Ich hätte grosse Bedenken, dass dann die andere Seite nicht mehr mitmachen und dieses Gesetz bekämpfen würde, wenn man jetzt auf der Schutzseite diesen Kompromiss im Parlament aufschnüren würde", so Rösti. Der Bundesrat verwies zudem darauf, dass der Bund jüngst ein Postulat zur Überprüfung des Gewässerschutzgesetzes zur Annahme empfohlen hatte. Bei besagtem Postulat geht es darum, die ökologische Situation der Gewässer mit einem möglichst geringen Verlust an Stromproduktion zu verbessern (
energate berichtete).
Restwassermengen "werden erst später grösser"
Eine Mehrheit von 95 zu 94 Politikern liess sich von der Warnung Röstis nicht abschrecken und stimmte gemäss
Protokoll dem Minderheitsantrag von Paganini zu. Paganini selbst verteidigte seinen Antrag mit drohenden Produktionseinbussen in Höhe von 1,9 bis 4 TWh, die im Zuge von anstehenden Neukonzessionierungen und damit verbundenen verschärften Restwasserbestimmungen bis 2050 drohten. "Die Restwassermengen werden nicht kleiner als heute, aber sie werden erst später grösser", erklärte Paganini. Er sagte zudem, dass die Zubauziele im Bereich Wasserkraft bei einer Ablehnung seines Antrags "reine Utopie" bleiben würden. Der Nationalrat hatte am 13. März beschlossen, dass die Schweiz bis 2050 mindestens 39,2 TWh aus Wasserkraft produzieren soll. Mit den anderen erneuerbaren Technologien sollen bis 2035 mindestens 35 TWh und bis 2050 mindestens 45 TWh Strom produziert werden.
Das Bundesgesetz vom 24. Januar 1991 über den Schutz der Gewässer enthält in den Artikeln 29 bis 33 Restwasserbestimmungen, die für nach 1992 erteilte Konzessionen von Wasserkraftwerken gelten. Für vor 1992 konzessionierte Wasserkraftwerke gelten bis zum Ablauf ihrer Konzession weniger strenge Bestimmungen. Sobald ein bestehendes Wasserkraftwerk seine Konzession erneuern muss, insbesondere bei deren Ablauf oder beim massgeblichen Ausbau, kommen die strikteren Restwasserbestimmungen zur Anwendung. Zwischen 2025 und 2050 müssen zahlreiche Wasserkraftwerke ihre Konzession erneuern. /mg
Den genauen Wortlaut des Antrags von Paganini finden Sie hier (S. 4).